In den letzten Jahren wurde “Informational Interviewing” immer populärer – und ehrlich gesagt, zu Recht. In meinen 15 Jahren als Führungskraft habe ich gesehen, wie solche Gespräche Karrieren verändert haben. Es ist kein typisches Bewerbungsgespräch, sondern ein strategischer Austausch, bei dem man Informationen aus erster Hand bekommt. Wer es richtig nutzt, baut nicht nur Wissen auf, sondern auch Netzwerke, die langfristig Türen öffnen.
1. Definition und Kernidee des Informational Interviewing
Beim Informational Interviewing geht es nicht um eine sofortige Jobchance, sondern um das Lernen. Die Idee ist simpel: Sie sprechen mit Menschen, die direkt in dem Bereich tätig sind, der Sie interessiert. Diese Gespräche geben Ihnen Insider-Einblicke, oft jenseits dessen, was Stellenanzeigen oder Unternehmenswebseiten verraten.
Ich erinnere mich an einen Analysten, der mich vor Jahren um ein solches Gespräch bat. Er sagte offen: „Ich möchte nur verstehen, wie Ihr Alltag wirklich aussieht.“ Dieser Ansatz hat mich beeindruckt, weil er ehrlich war – er wollte lernen, nicht betteln. Am Ende habe ich ihn an zwei Mentoren weitergeleitet und Jahre später führte das zu seinem ersten Leadership-Job. Der Punkt ist: Informational Interviewing dient dazu, zu verstehen, nicht zu verkaufen.
2. Warum Informationsgespräche so wertvoll sind
Die Realität ist: Karrieren werden oft durch Gespräche hinter verschlossenen Türen entschieden. Ein Job wird ausgeschrieben? Meistens wissen schon drei Leute im Netzwerk davon, bevor die erste Anzeige online geht. Informational Interviewing erlaubt es, in diesen inneren Kreis zu kommen.
Ich habe es erlebt: Back in 2018 war jeder fixiert auf Online-Bewerbungen. Heute weiß ich, dass die Mehrheit der guten Matches über Empfehlungen läuft. Menschen erinnern sich an echte Gespräche. Ich kann mich an Kandidaten erinnern, die im Gespräch kluge, offene Fragen stellten – Jahre später war ihr Name immer noch positiv in meinem Kopf. Genau das ist der Hebeleffekt dieser Gespräche.
3. Vorbereitung: Ohne Hausaufgaben wird es peinlich
Einer der größten Fehler ist, unvorbereitet in ein Informationsgespräch zu gehen. MBA-Programme lehren, “immer Fragen stellen”. Klingt nett, aber in der Realität erwarten Profis, dass Sie konkret und präzise kommen.
Ein ehemaliger Klient ging 2019 völlig blauäugig zu einem CFO. Er fragte Fragen, die man in fünf Minuten googeln konnte. Ergebnis? Kein weiteres Treffen. Was funktioniert: Zeigen Sie, dass Sie Zeit investiert haben. Bringen Sie gezielte Fragen, etwa „Wie verändert sich Ihre Branche nach der letzten Regulierung?“ Statt Oberflächlichkeit signalisiert Genauigkeit Respekt – und erhöht die Chance, ernst genommen zu werden.
4. Wie Sie das Gespräch effektiv führen
Ich sage meinen Teams immer: Ein Informationsgespräch ist wie eine 30-minütige Strategie-Session. Sie haben eine begrenzte Zeitspanne, und die muss klug genutzt werden. Die Struktur? Erst Dankbarkeit zeigen, dann ein kurzer Überblick über Ihren Hintergrund, anschließend etwa 3–5 gezielte Fragen.
Ich habe öfter erlebt, dass Kandidaten die Zeit dominieren wollten, indem sie 20 Minuten über ihre Lebensgeschichte erzählten. Das ist ein Killer. Stattdessen: Kurz, präzise, respektvoll. Und ja – zuhören ist wichtiger als reden. Denn das wahre Kapital dieser Treffen liegt darin, sich zuzuhören und die Muster zu verstehen, die erfahrene Profis andeuten.
5. Häufige Fehler vermeiden
Die meisten stolpern über dieselben Punkte: Sie verwechseln ein Informationsgespräch mit einem Bewerbungsgespräch. Sie drängen auf Jobs oder übersenden direkt ihren CV. Glauben Sie mir, das zerstört die Chemie.
Ich erinnere mich an einen Ingenieur, der es in einem Gespräch nicht lassen konnte, ständig auf offene Jobs zu verweisen. Am Ende war die Stimmung kühl – und ich war nicht der Einzige, der sich distanzierte. Was funktioniert: Geduld, Respekt und echtes Interesse. Jobs folgen oft von selbst, wenn das Gespräch im Gedächtnis bleibt – manchmal nach Wochen, manchmal nach Jahren.
6. Informationsgespräche als Networking-Instrument
Viele unterschätzen, dass diese Gespräche keine Einbahnstraße sind. Sie bauen Beziehungen auf. In der Praxis ist Networking weniger „ich nehme“, sondern „ich gebe und höre zu“.
2016 habe ich mit einem Bewerber gesprochen, der mir sehr gezielte Branchendaten zeigte, die er recherchiert hatte. Am Ende profitierte nicht nur er, sondern auch ich, weil er mir frisch gedachte Perspektiven gab. Genau das ist der beidseitige Wert. Am besten positionieren Sie sich nicht als Bittsteller, sondern als jemand, der strategisch denkt – und wirklich zuhört. Für tiefergehende Einblicke empfehle ich diesen umfassenden Überblick: Indeed Leitfaden zu Informationsgesprächen.
7. Branchenunterschiede: Nicht jede Taktik passt überall
Ein Punkt, den viele vergessen: B2B und B2C unterscheiden sich massiv. In einer stark regulierten Branche wie Pharma sind Informationsgespräche sehr formal, fast schon Protokoll. In Startups hingegen läuft es oft locker – ein Kaffee, ein 20-minütiges Plaudern über Trends.
Ich habe beides erlebt. Als Berater in der Automobilindustrie war jedes Gespräch streng, mit Agenda und Follow-up. In der digitalen Welt dagegen entstehen die besten Insights oft im Gespräch an der Bar nach einer Konferenz. Der Schlüssel: Kontext anpassen. Kein Schema F, sondern flexibles Denken.
8. Langfristige Wirkung und Karrierechancen
Das Schönste an Informationsgesprächen ist die Langfristigkeit. Manche Gespräche haben mich Jahre später wieder eingeholt. Noch heute nutze ich Kontakte, die durch scheinbar kleine Meetings entstanden sind.
Ein konkretes Beispiel: 2015 sprach ich mit einem jungen Berater, der sich nach Branch trends erkundigte. Ich habe ihn ehrlich durch unsere Herausforderungen geführt. Drei Jahre später war er in einer Managerrolle – und er war derjenige, der mir eine neue Projektpartnerschaft eröffnet hat. Das zeigt: Diese Gespräche sind keine Einmalaktionen. Sie sind Investitionen in soziale Währungen – und die zahlen sich immer wieder aus.
Fazit
Was ist Informational Interviewing? Es ist weit mehr als ein nettes Gespräch. Es ist ein strategisches Werkzeug, das mit kluger Vorbereitung, respektvoller Durchführung und langfristigem Denken Karrieren anstößt. Wer es ernst nimmt, lernt nicht nur über Märkte und Rollen, sondern baut Netzwerke, die echte Türen öffnen. Der Schlüssel liegt darin, nicht den kurzfristigen Job zu jagen, sondern den langfristigen Wert zu sehen.
FAQs
Was ist Informational Interviewing?
Ein Informationsgespräch ist ein strategisches Treffen, um Einsichten über eine Branche, Rolle oder Firma zu gewinnen, ohne sofort auf einen Job abzuzielen.
Wie unterscheidet es sich von einem Bewerbungsgespräch?
Im Bewerbungsgespräch geht es um eine konkrete Position. Beim Informationsgespräch geht es um Lernen, Austausch und Netzwerken.
Wer sollte ein Informationsgespräch führen?
Jeder, der eine Karriereentscheidung plant: Einsteiger, Umsteiger oder Fachleute, die ihr Netzwerk erweitern wollen.
Wie lange dauert ein typisches Informationsgespräch?
Meist 20–30 Minuten. Kürzer wirkt gehetzt, länger kann die Geduld des Gesprächspartners überstrapazieren.
Wie bereitet man sich am besten vor?
Recherchieren Sie das Unternehmen, die Rolle und Branchen-Trends, um zielgerichtete Fragen zu stellen.
Welche Fragen sollte man stellen?
Fragen nach Branchentrends, typischen Herausforderungen oder Karrierewegen – keine Fragen nach Gehalt oder Jobangeboten.
Sollte man seinen Lebenslauf mitbringen?
Nur, wenn explizit danach gefragt wird. Ansonsten ist Zurückhaltung strategisch klüger.
Wie oft darf man nachfassen?
Ein kurzes Dankeschön direkt nach dem Gespräch. Nach einigen Monaten erneut, wenn es einen relevanten Anlass gibt.
Ist Informational Interviewing in Deutschland üblich?
Ja, aber unter anderem Namen, etwa als „Karrieregespräch“ oder „Netzwerkaustausch“. Besonders in Großstädten ist es gängig.
Welche Branchen nutzen diese Methode am stärksten?
Vor allem Beratungen, Finanzdienstleister, Technologieunternehmen und Startups leben stark von empfohlenen Kontakten.
Wie findet man Gesprächspartner?
Über LinkedIn, Alumni-Netzwerke, Fachveranstaltungen oder durch direkte Empfehlungen innerhalb des eigenen Kreises.
Sollten Studenten auch solche Gespräche führen?
Definitiv. Gerade Studenten profitieren davon, weil sie Einblicke in Jobs bekommen, die sie oft nur theoretisch kennen.
Was sollte man nach dem Gespräch tun?
Immer ein Dankeschön senden und ggf. ein kurzes Update geben, wenn ein Gespräch besonders geholfen hat.
Wie viele Gespräche sollte man führen?
Qualität geht vor Quantität. Ein paar gut vorbereitete Gespräche bringen mehr als 20 oberflächliche.
Wann ist der beste Zeitpunkt für ein Informationsgespräch?
Vor einem Karriereschritt oder bei einer Branchenveränderung – nicht erst, wenn man dringend Arbeit sucht.
Kann man durch Informationsgespräche einen Job bekommen?
Ja, oft indirekt. Gute Gespräche wirken langfristig – von Empfehlungen bis hin zu versteckten Jobchancen.